R. Gamper u.a.: Alchemische Vereinigung

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Titel
Alchemische Vereinigung. Das «Rosarium Philosophorum» und sein Besitzer Bartlome Schobinger


Autor(en)
Gamper, Rudolf; Thomas, Hofmeier
Erschienen
Zürich 2014: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
238 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sarah-Maria Schober, Renaissance/Frühe Neuzeit, Universität Basel

Der St. Galler Kaufmann Bartlome Schobinger (1500–1585) besass eine bemerkenswerte Handschrift – eine frühe Version des berühmten Rosarium Philosophorum. Das heute in der Vadianischen Sammlung aufbewahrte Exemplar
Bildet das Kernstück des vorliegenden Bandes. Die Analyse der Handschrift und ihres Kontexts eröffnet in einer Zusammenführung von Bilddeutung, Werkeinbettung und biografischer Skizze weiterführende Perspektiven auf die St. Galler Stadtgeschichte sowie die Wissensgeschichte der Alchemie.

Thomas Hofmeier eröffnet den Band mit einer Analyse des Bilderzyklus der Handschrift. Dieser umfasst 20 kolorierte Tafeln, die anhand des Bildgedichts Sol und Luna den alchemischen Prozess darstellen, seine Teilprozesse in allegorischen Personifizierungen nachzeichnen und symbolisch ausgestalten. Sowohl als praktische Handlungsanweisung als auch als philosophische Kosmologie versteht und erklärt Hofmeier aufbauend auf Forschungen insbesondere von Lawrence Principe, Joachim Telle und William Newman das Rosarium Philosophorum in einer eingehenden Bildlektüre. Für weiterführende Arbeiten hilfreich ist die durchgehende, durch eine bemerkenswerte Abbildungsdichte erzielte Gegenüberstellung des Bilderzyklus der Handschrift aus den 1530er Jahren mit den Holzschnitt- und Kupferstichreihen der wichtigsten Druckversionen – dem Frankfurter Erstdruck von 1550 und den Basler Sammeldrucken von 1572 und 1622. Zentrales Anliegen ist die Entschlüsselung der Bildsymbolik, wobei es dem Autor zugleich gelingt, die Heterogenität und Pluralität frühneuzeitlicher Alchemien ins Bewusstsein des Lesers zu rufen, beispielsweise indem eingehend auf den Charakter des Rosariums als Florilegium, als Kompendium von alchemischen Wissensbeständen, Denkweisen und Möglichkeiten, rekurriert wird.

Der Bildanalyse folgt ein thematischer Teil. Zunächst werden die im Rosarium verwendeten Autoritäten sowie verwandte Schriften vorgestellt und mit der St. Galler Handschrift in Beziehung gesetzt. Mit der Vertiefung der Aspekte Rosenallegorie, Sexualisierung und Hermaphrodit sowie einer abschliessenden Betrachtung der Bildlichkeit und Zeichenhaftigkeit der Alchemie und deren unterschiedlichen medialen Präsentationsmöglichkeiten in Handschrift und Druck werden interessante Perspektiven vorgestellt.

Im zweiten Teil stellt Rudolf Gamper das Leben des St. Galler Ratsherrn, Kaufmanns, Büchersammlers und – so Gampers Analyse – Alchemisten dar. Gamper identifiziert Schobinger als den Schreiber der Handschrift und verbindet diesen Befund mit einer biografischen Skizze, die Schobinger in verschiedene aber deshalb nicht getrennt zu denkende – Kontexte einordnet. Das alchemische Interesse Schobingers stellt keine isolierte Nebenbeschäftigung des gut vernetzten Kaufmanns dar, sondern ergänzt seine Tätigkeiten im Metallwarenhandel ebenso wie die im Auftrag des St. Galler Rates betriebene Münzaufsicht.

Gampers Darstellung zerfällt nur auf den ersten Blick in unterschiedliche Lebensbereiche. Gerade die Zusammenführung von Kaufmannstätigkeit und Ratsgeschäften mit gelehrten Praktiken und dem Austausch beispielsweise mit Alexander von Suchten gibt Bartlome Schobinger als eine faszinierende Gestalt zu erkennen. Schobingers persönliche Vernetzung – etwa über die gemeinsam mit seinem in München ansässigen Bruder betriebene Handelsgesellschaft – zeigt auf, wie sehr die Stadt St. Gallen als Handelsstadt, aber auch in ihrem politischen Agieren und als Ort gelehrten Austauschs, mit dem regionalen Umfeld verflochten war. Gamper entkräftet mit seiner Darstellung und der eingehenden (Re-)Lektüre der Quellen einige Annahmen der älteren Forschung. Insbesondere relativiert er die Bedeutung des Kontakts Schobingers mit Paracelsus und zeigt eine sehr viel breitere Grundlage seines alchemischen Interesses auf. Dabei macht der Beitrag auf spannende Details aufmerksam, die eine eingehendere Beschäftigung verdienten. Insbesondere Schobingers in voller Länge abgedruckte, erste bekannte Kunststoffrezeptur und ihre Charakterisierung der Textur, Verwendung und Herstellung dieses besonderen Stoffes ist vor dem Hintergrund der Fragestellungen des material turns ausserordentlich interessant.

Im letzten Teil fassen Doris Oltrogge und Robert Fuchs die Ergebnisse eingehender
Untersuchungen (Vis-Farbspektroskopie, Röntgenfluoreszenz, Mikroskopie und Bandpassfilter-Reflektografie) der Handschrift zusammen. Einblicke in Farbgebung und Maltechniken geben wertvolle Hinweise etwa bezüglich der nachträglichen Einfügung von blauen Übermalungen – die Autoren sprechen von «Badehöschen» – als Zensur der ohnehin nicht ausgeführten Geschlechtsteile der Hermaphroditen. Ein ausführlicher Anhang umfasst die Bildtexte, ihre neuhochdeutsche Übersetzung, einen Überblick über die Drucke des Rosariums und eine eingehende Beschreibung der Sammelhandschrift.

Es erfolgt keine Zusammenführung der Teilergebnisse. Das mag einerseits bemängelt werden, macht aber andererseits gerade den Charme des Buches aus, dessen Anliegen es ist, in einer in mancher Hinsicht an eine Edition erinnernden, dabei sehr gut lesbaren Form eine faszinierende Handschrift für den interessierten Leser aufzubereiten. Das Ergebnis bereitet den Boden für zukünftige Forschungen zur Verknüpfung von alchemischen Interessen und Denkweisen mit der Betrachtung von Einzelpersonen und städtischen Gesellschaften in der Deutschschweiz. Vor diesem Hintergrund ist es zu verschmerzen, dass dieses Potential nicht explizit formuliert wird und Forschungen, die gerade auf die Verzahnung von Alchemiegeschichte und neuerer sozial- und kulturwissenschaftlich orientierter Wissensgeschichte hinwirken, etwa die Arbeiten von Tara Nummedal, keine
Erwähnung finden.

Zitierweise:
Sarah-Maria Schober: Rezension zu: Rudolf Gamper, Thomas Hofmeier, Alchemische Vereinigung. Das «Rosarium Philosophorum» und sein Besitzer Bartlome Schobinger, Zürich: Chronos Verlag, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 1, 2016, S. 169-170

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 1, 2016, S. 169-170

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